Zulauf „wie eine Welle“

07. Februar 2022 : Seit fast einem Jahr hat der Frauennotruf eine Außenstelle in Steinbach am Wald. Vor allem während der vergangenen Lockdowns hat das Team zahlreichen Opfern von häuslicher Gewalt geholfen. Jede vierte Frau in Deutschland ist schon einmal Opfer von Gewalt geworden. Seit fast einem Jahr hilft der Frauennotruf in Steinbach am Wald den Betroffenen.

Zulauf „wie eine Welle“

VON MARIA LÖFFLER


Steinbach am Wald — Ein harter, brutaler Schlag ins Gesicht, Tritte in die Magengrube, die Rippen, den Bauchraum. Auch, wenndas Opfer schon am Boden liegt, hört die Gewalt meist nicht auf. In Deutschland wird jede vierte Frau mindestens einmal in ihrem Leben das Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Aufgefangenwerden sie unter anderem durch den Coburger Frauennotruf, der seit Juli vergangenen Jahres auch eine Beratungsstelle in Steinbach am Wald, Rennsteigstraße 19, hat.
Eine erste Bilanz zieht Sozialpädagogin Karin Burkardt-Zesewitz, die betroffene Frauen mit zwei Kolleginnen betreut. Sie bestätigt, dass man nach einem Jahr Frauennotruf in Steinbach am Wald durchaus schon von einem Erfolg sprechen könne. Etwas verhalten klingt es ja noch, doch Euphorie wäre an dieser Stelle wohl auch nicht angebracht. Zu ihr kommen Frauen in der schlimmsten Zeit ihres Lebens: Zu ihr kommen die, die schon am Boden liegen, aber dennoch getreten werden. Und die Angst haben, jemand könnte sie erkennen, wenn sie eine Beratungsstelle aufsuchen.

Gewalt ist überall gleich
„Das ist in der Stadt nicht anders als auf dem Land. Allerdings weiß das Umfeld der Betroffenen meistens schon Bescheid, trotzdem versuchen die Frauen noch, es irgendwie zu vertuschen.“ Es gehe vor allem um die Fassade, die die Opferaufrechterhalten möchten. Und das sei in einer Großstadt nicht anders als auf einem kleinen Dorf mitten auf dem Land. „Gewalt funktioniert überall ähnlich,“ weiß die Sozialpädagogin. Allerdings gebe es schon auch ein paar Unterschiede. „Im ländlichen Bereich schwingen noch ein paar andere Probleme mit. Hier ist die soziale Kontrolle größer, der Druck vielleicht noch etwashöher, gerade wenn es das gemeinsame Haus betrifft, das vielleicht sogar im Garten der Schwiegereltern steht. Die Verstrickungen sind einfach anders.“
Ängste sind fast immer unbegründet
Doch gebe es durchaus auch Vorteile: „Die Angst, von der Dorfgemeinschaft geächtet zu werden, ist fast immer unbegründet. Frauen auf dem Dorf zeigen sich viel eher solidarisch.“ Im Prinzip wisse ja jeder schon, was passiert sei. „Und das Umfeld wundert sich, dass die Frau es so lange bei ihrem Mann ausgehalten hat.“

Beratung als erster Schritt
Burkardt-Zesewitz appelliert deshalb noch einmal an alle betroffenen Frauen, den Schritt in die Beratungsstelle zu wagen. Hier werde sie aufgefangen, erhalte die Hilfe, die sie auch möchte, ohne Wertung und vor allem ohne Druck. „Es ist zumindest der erste Schritt. Ist der gemacht, dann kann unsere Unterstützung beginnen.“ Zusätzlich wolle die Beratungsstelle auch bald alle vierWochen ein Frauenfrühstück anbieten, ein niederschwelliges Angebot als unverbindliches Treffen. „Die Frauen können gerne auch mit einer Freundin vorbeikommen, um zu reden und um sich auszutauschen.“
Aber Betroffene seien nicht nur Opfer, sie seien vor allem auch Entscheider. „Ich rate nie, sich zu trennen oder zu bleiben, das muss jeder selbst wissen.“ Aber dabei auf ein Wunder zu hoffen, dass die Gewalt irgendwann von selbst aufhören werde, seinicht der richtige Weg: „Es wird nach meiner Erfahrung eher schlimmer als besser, die Gewalt steigert sich.“ Vielmehr müssten die betroffenen Frauen alle Tatsachen kennen, alle Informationen auswerten und sie dann gegeneinander abwägen. „Und so lange sie dieses ,aber‘ haben, werden sie bleiben. Und der Mann wird auch nichts ändern, für den läuft es ja bombig.“
Sexueller Missbrauch gehört ebenfalls in den Kreis der Gewaltverbrechen gegen Frauen und Kinder. „Wenn das passiert, fliegt einem alles um die Ohren“, verdeutlicht Burkardt-Zesewitz die Situation. Dann müsse man koordinieren, vermitteln, gucken, was die Familie gerade brauche. Es sei alles ohnehin schon schwer genug, und mit sexuellen Traumata aus der Kindheit müsse man im schlimmsten Fall ein ganzes Leben lang zurechtkommen. Dass es dafür keine klassischen Symptome gebe, an denen man den Missbrauch erkennen könne, erschwere die Situation nur noch. Missbrauch äußere sich nämlich in vielen Krankheitsbildern. „Angstattacken, Magersucht, Adipositas, Selbstverletzung, Erschütterung der Persönlichkeit.“ Aber diese Wunden könnten auch heilen: „Auch ein Trauma ist ins Leben integrierbar, wenn man eine Strategie hat. Es ist Teil der eigenen Geschichte.“

Lockdown verschärft Situation
Und während der vergangenen Lockdowns sei die Gewalt gegen Frauen und Kinder auf gar keinen Fall weniger geworden oder gleich geblieben. „Wir haben ja auch während dieser Zeiten beraten, es war wie eine Welle, die auf uns zurollte. Die Betroffenen waren schutzlos ausgeliefert, vor allem auch die Kinder. Es hat ja keiner mehr hingeschaut, kein Lehrer, kein Betreuer, kein Coach, niemand war da.“ Dadurch sei die Gefahr für die Täter geringer geworden.
Und noch ganz andere Formen der Gewalt gegen Frauen haben scheinbar so etwas wie Konjunktur. Dazu gehört unter anderem Stalking in all seinen Formen und Ausprägungen, dazu gehören aber auch K.O.-Tropfen im Getränk oder Mobbing und Cybermobbing. Es könne nämlich zum Bespiel nicht nur ganz schön gruselig sein, wenn ein abgewiesener Verehrer einem jeden Tag eine Rose unter die Scheibenwischer klemme. Denn dabei bleibe es in den meisten Fällen nicht. Es folgten Anrufe zu den unmöglichsten Zeiten, Nachrichten, Drohungen und schließlich auch Gewalt bis hin zu Mord. Damit es nicht so weit komme, könne die Polizei entweder eine Gefährderansprache beim Täter machen, oder ein Kontaktverbot erwirken. „Egal welche Form der Gewalt auch immer an Frauen ausgeübt wird, sie können sich an uns wenden und wir werden helfen“, verspricht die Sozialpädagogin Karin Burkardt-Zesewitz.

Erreichbarkeit
Die Beratungsstelle des Frauennotrufs befindet sich in der Rennsteigstraße 19 in Steinbach am Wald. Sie hat jeden ersten Montag im Monat von 14 bis 18 Uhr geöffnet und jeden dritten Montag im Monat von 9 bis 13 Uhr. Vorherige Anmeldung bitte entweder telefonisch unter 09561 90155 oder per Mail an info@frauennotruf-coburg.de.

SCHUTZ VOR ÜBERGRIFFEN
Eigentlich sollten Frauen sich längst ohne Einschränkung im öffentlichen Raum bewegen können, ohne Opfer von Belästigungen oder gar Gewalt zu werden. Und doch muss Karin Burkardt-Zesewitz Frauen Tipps auf den Weg geben, wie sie sich vor Übergriffen schützen können: „Passt aufeinander auf. Wenn ihr zu dritt weggeht, kommt auch zu dritt wieder nach Hause. Lasst euer Getränk nicht unbeobachtet stehen oder greift auf Getränke zurück, die man verschließen kann. Das gilt vor allem in Clubs, in Bierzelten und großen Veranstaltungen. Mittlerweile gibt es auch Nagellack, der auf K.-o.-Tropfen reagiert, oder Teststreifen. Wägt ab, was ihr in den sozialen Netzwerken kommuniziert und wem ihr erlaubt, auf diese Informationen zuzugreifen. Und niemals sorglos seine Handynummer preisgeben. Werdet ihr belästigt, stellt sofort Öffentlichkeit her. Ruft laut, macht Menschen darauf aufmerksam. Packt eure Scham weg und redet darüber.“ ml

aus "Fränkischer Tag Ausgabe Kronach" vom 07.02.2022